Kreuzschifffahrt nach der Corona-Krise

Für eine andere Kreuzschifffahrt

Autor*innenpapier


Für mehr Verantwortung in der Kreuzschifffahrt

Die Kreuzschifffahrtindustrie ist durch die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus und den daraus folgenden Reisebeschränkungen weltweit dieses Jahr binnen kurzer Zeit zum Erliegen gekommen. Dadurch ist die Branche mindestens genauso stark von den Anti-Corona-Maßnahmen betroffen wie die Luftfahrt. Weltweit sind mehr als 300 Schiffe in den Häfen außer Betrieb gesetzt. Die Branche hofft auf einen Neustart noch im Sommer 2020. Ein flächendeckendes und zeitgleiches Wiederhochfahren scheint jedoch wenig wahrscheinlich. Vielmehr werden einige Schiffe sogar längerfristig mit ihrem Wiedereinsatz warten müssen. Der tatsächliche Start der einzelnen Schiffe ist von vielen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel den jeweiligen Ein- und Ausreisemöglichkeiten für die Gäste. Auch welche Häfen angelaufen werden können sowie die jeweiligen Hygienekonzepte auf den Schiffen bestimmen deren Einsatz. Darüber hinaus gibt es kaum Orte weltweit mit einer höheren Dichte an Menschen als Kreuzfahrtschiffe, was das Infektionsrisiko erhöhen kann.

In der aktuellen Krise der Branche liegt jedoch auch eine Chance: Wo die Reiseanbieter bisher nicht oder nur halbherzig auf Kritik eingegangen sind, bieten sich nun Chancen, vieles besser zu machen. Stichwort Emissionen: Die Kreuzschifffahrt war in der Öffentlichkeit hinsichtlich der schmutzigen Abgase viel kritisiert worden. Die Kreuzfahrtbranche reagierte darauf, indem sie bei neueren See und Binnenschiffen sauberere Antriebstechnologien einsetzte, die in der Frachtschifffahrt hingegen noch nicht Standard sind. Doch auch in der touristischen Schifffahrt führt die lange Lebensdauer der Schiffe dazu, dass nur ein Bruchteil der eingesetzten Schiffe mit emissionsreduzierten Antrieben fahren oder ihre Abgase nachbehandeln. Die Entwicklung, Erforschung und den Einsatz umwelt- und klimafreundlicher Antriebe und Nachbehandlungssysteme über den Standard hinaus gilt es voranzutreiben, und auch auf die Frachtschifffahrt zu übertragen.

Außerdem muss die Kreuzschifffahrt ihre Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsziele deutlich anpassen. Gerade der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit, also Umgang mit und Schutz der Beschäftigten, kam häufig zu kurz. Der Boom der Seereisen fand in der Vergangenheit häufig zu Lasten der Besatzung statt. Beschäftigte auf Kreuzfahrtschiffen haben in der Vergangenheit oft nicht die Anerkennung und Entlohnung erhalten, die ihnen aufgrund ihrer Leistung und der hohen Gewinne der Kreuzfahrtunternehmen zustehen würden. Freie Tage oder selbst freie Stunden an Bord sind rar, bei sehr langen Arbeitszeiten ohne Freizeitausgleich. Noch gilt: Viel Arbeit für relativ wenig Lohn: Ein geringes Ausgangslohnniveau, die Überschreitung festgelegter Arbeitszeiten sowie das häufig praktizierte „Hire und Fire“-Prinzip, was den Druck auf Arbeitnehmer*innen erhöht, sind Missstände, die dringend angegangen werden müssen. Verflochtene Unternehmensstrukturen, durch die bestehende Mindeststandards im Seearbeitsrecht umgangen werden können, müssen aufgelöst werden. Nachhaltigkeit wird insgesamt nicht so konsequent umgesetzt wie von den Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten häufig angekündigt und blumig umschrieben. Zusätzlich werden Gewinne teilweise nicht dort versteuert, wo sie anfallen. Die größten Marktteilnehmer zahlen ihre Steuern in Graubereichen von Offshore-Firmenkonstruktionen. Es muss nun der Wendepunkt für die Branche kommen: sie muss die genannten Probleme erkennen und mit dem bevorstehenden Neubeginn vieles besser machen.

Es wird nun darum gehen, die Branche erfolgreich durch die Krise zu manövrieren. Nur dann kann sich die Kreuzschifffahrt auch neu aufstellten. Die Seereisen müssen in punkto Nachhaltigkeit zukünftig deutlich nachbessern – und zwar bei Schiffsabgasen, beim Umgang mit und Rechten von Angestellten auf See, nachhaltigem Tourismus bei Hafenanläufen sowie einer transparenten Unternehmenspolitik, die ihre Schwerpunkte weniger auf Steuerparadiese statt auf Verantwortung in Heimatmärkten setzt. Nur so kann die Branche die Erwartungen erfüllen und sich zukunftssicher neu aufstellen.


Hoher gesellschaftlicher und ökologischer Preis für bisheriges Wachstum der Kreuzfahrtbranche

Kreuzfahrtreisen waren beliebt, weil sie die übliche Pauschalreise mit der Möglichkeit verband, verschiedene Ziele innerhalb kurzer Zeit anzusteuern. Viele Reisende warten nun weiter darauf, dass die Seereisen in der Ostsee, im Mittelmeer, dem Golf von Mexiko oder am Roten Meer wieder wie bisher durchgeführt werden. Hier wird jedoch in einigen Bereichen ein Umdenken stattfinden müssen. Einem in weiten Teilen betriebenen „Overtourism“, also dem Einfallen von Menschenmassen in besonders sensiblen Orten wie in Venedig, Dubrovnik oder den Polargebieten und Meeresarealen mit bisher unberührten Korallenriffen, sind in Zukunft deutliche Grenzen zu setzen.

Der Umwelt zuliebe, aber auch im Sinne der Beschäftigten an Bord und der Bewohnerinnen und Bewohner an den Zielorten muss die Kreuzfahrt wieder in einem gemäßigteren Rahmen stattfinden. „Weniger und sauberer“ – das muss die Devise werden. Es braucht Vernunft und Problembewusstsein bei den Unternehmen und gleichzeitig einen konsequenten staatlichen Rahmen.

Angesetzt werden muss bei folgenden problematischen Entwicklungen:

  • Immer größere Schiffe mit immer mehr Touristen an Bord, um die Reisen preisgünstig anzubieten. Damit verbunden die Ausnutzung hoher Skaleneffekte, welche immer wieder die Frage der Sicherheit und Beherrschbarkeit solch großer Anzahl an Passagieren in Notfällen stellt;
  • Teilweise Nutzung von Steuersparmodellen zur Nichtbesteuerung hoher Gewinne in sog. Offshoreparadiesen
  • Teilweise illegale Abfallentsorgung im Meer – trotz geltendem Verbot über Jahre hinweg
  • Ansteuern von entlegenen oder besonders sensiblen Regionen und dadurch Gefahr der Zerstörung von einzigartigen Orten und Landschaften;
  • Geringe Effekte auf die regionale Tourismuswirtschaft bei Landausflügen u. a. aufgrund des „All-Inclusive“-Angebots an Bord;
  • Arbeitsbedingungen mit häufig überdurchschnittlich langen Arbeitszeiten, mäßiger Bezahlung und kaum Freizeit;
  • Trotz moderner Technik und hoher Effizienz der Schiffe allein aufgrund deren Größe Ausstoß von hohen Schadstoffmengen und dadurch Gefährdung von Fahrgästen und Verschmutzung von Hafenstädten.


Für einen Neustart mit Augenmaß und Weitblick

Damit die Kreuzschifffahrt nach der Covid-19-Pandemie wieder eine Zukunft haben kann, braucht sie die Akzeptanz in der Gesellschaft. Dazu ist eine Rückkehr nur mit Augenmaß und neuen Standards notwendig. Die Branche muss sich als wirtschaftlicher Zweig verstehen, der Verantwortung zeigt und in der maritimen und Tourismuswirtschaft mit zukunftsfähigen Lösungen vorangeht. Dazu bedarf es Änderungen und Anpassungen der Kreuzfahrtbranche. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Branche weiterbesteht. Nur was existiert, kann sich verändern.

Wir fordern daher:

  • Kreuzschifffahrt nur unter konsequenter Einhaltung und stetiger Kontrolle der üblichen Hygiene- und Gesundheitsstandards zur Vermeidung von Covid-19 und anderen Infektionen durch die jeweiligen Unternehmen. Das heißt:
    • Weniger Passagiere an Bord, sofern anderweitig der erforderliche Mindestabstand nicht eingehalten werden kann
    • Anpassung der Routen zur Verringerung des Infektionsrisikos bei Landausflügen
    • Kontrolle der Passagiere bei Ein- und Ausstieg sowie in Intervallen an Bord
    • Schaffung der Möglichkeit von Quarantänebereichen
    • Konsequente Testmöglichkeiten, Desinfektionen und Notfallmaßnahmen, teilweise auch ähnlich jenen in Krankenhäusern
  • Deutlich verbesserte Zusammenarbeit aller Seefahrtnationen um regelmäßige Besatzungswechsel für das Wohl der Besatzung zu ermöglichen, und um die Voraussetzungen zur Ein- und Ausreise sowie Transit von Seeleuten zu schaffen, aber auch zur zuverlässigen medizinischen Behandlung von Seeleuten in den Häfen. Aufgrund der ausweglosen Situation sind inzwischen dringend Maßnahmen auf internationaler und zwischenstaatlicher Ebene erforderlich, damit Seefahrerinnen und Seefahrer, teilweise nach deutlich über einem Jahr Aufenthalt auf den Schiffen, in ihre Heimatländer kommen können.
  • Nachhaltigkeit besser verankern:
    • Staatliche Hilfen für Unternehmen der Kreuzfahrtbranche müssen mit Nachhaltigkeitskonditionen in den Bereichen Klimaschutz, Arbeitsbedingungen und Steuertransparenz verknüpft werden. Angesichts der Klimakrise verbietet sich ein bedingungsloses Weiter-so, zumal Gelder, die aktuell zur Bewältigung der Coronakrise ausgegeben werden, später für Klimaschutzmaßnahmen fehlen werden.
    • Sozial: Bessere Arbeitsbedingungen für die Schiffsbesatzung über neue international verpflichtende Maßnahmen für die Kreuzschifffahrt, insbesondere durch deutlich verbesserte Arbeitnehmerregelungen für Beschäftigte auf Kreuzfahrtschiffen über die „Maritime Labour Convention“ (MLC) der Weltarbeitsorganisation ILO. Deutschland muss zusammen mit weiteren ILO-Mitgliedsaaten entsprechende Änderungen voranbringen. Es gilt mehr Lohngerechtigkeit und besseren Arbeitsbedingungen insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in niedriger entlohnten Jobs zu erreichen.
    • Wirtschaftlich: Es kann nicht sein, dass große Kreuzfahrtunternehmen, die hierzulande aktiv sind oder mit großen deutschen Reiseveranstaltern kooperieren, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung über Offshore-Steuerparadiese und Ausreizen von Steuersparmodellen entziehen. Diese Praxis des Firmensitzes großer Kreuzfahrtunternehmen etwa in Panama, Liberia oder auf den Bermudas muss auf internationaler und zwischenstaatlicher Ebene konsequent eingedämmt und in Organisationen wie etwa zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zielführende Lösungen erarbeitet werden.
    • Vermeidung von „Overtourism“: Hier sind die Destinationen selbst, aber auch die einzelnen Staaten mit Zielhäfen, zu Änderungen und einem sensibleren Umgang mit möglichen Umwelt- und weiteren Belastungen aufgefordert. Nötig ist eine europäische Initiative, um die Koordination zwischen den Destinationen zu stärken und Schiffanläufe regional besser zu verteilen, um sensible Gebiete zu entlasten und nachhaltige Tourismuskonzepte umzusetzen.
    • Ökologie und Klimaschutz: Das bisherige Engagement und erreichte Ziele sollen nicht vergessen oder „über Bord“ geworfen werden, stattdessen muss weiter an der technischen Innovationswirkung der Branche festgehalten werden. Das heißt vor allem, weniger Emissionen durch den Einsatz weiter verbesserter Antriebstechnologien bei Investitionen der Branche, sowie Modernisierung von Motoren älterer Schiffe und Einbau von wirkungsvollen Abgasnachbehandlungssystemen. Weitergehende Entwicklungen mit dem Ziel der Emissionsneutralität sollen vorangetrieben werden.
    • In der See- und Binnenschifffahrt muss es einen flächendeckenden Ausbau von Stromtankstellen und eine Nutzungspflicht von Landstrom geben, um schifffahrtsbezogene Abgase wie CO2, Schwefeldioxide, NOx-, Feinstaub- und Lärmemissionen besonders in den Häfen und an Liegestellen deutlich zu reduzieren. Die Landstromerzeugung muss aus erneuerbaren Energien erfolgen.
    • Für die Beibehaltung und Förderung des technischen Innovationspotenzials ist die Schiffbaubranche entscheidend. Neue klimaschonende Technologien sind nur über staatlich begleitete Forschungsförderungen möglich. Dafür sind vor allem die Bundesprogramme zur Erforschung sowie Förderprogramme für umweltschonende See- und Binnenschiffsantriebe, aber auch für die Bereitstellung erforderlicher Hafeninfrastruktur stetig aufzustocken. Auch die Europäische Union muss weitere regulatorische und finanzielle Anreize schaffen.
    • Staatliche Luftmessstationen und die Einrichtung von Umweltzonen zur Luftreinhaltung müssen auch an Kreuzfahrt-Anlegestellen Emissionen messen. Kommunen sollen daher See- und Binnenschiffe in ihre Regelungen für Umweltzonen einbeziehen können und für deren Befahrung den Einsatz von Abgastechnik zur Reduktion von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Rußpartikeln vorschreiben dürfen.
  • Auf europäischer Ebene muss die Emissionssonderzone in Ost- und Nordsee auch auf das Mittelmeer ausgeweitet werden und neben Schwefelemissionen auch verbindliche Grenzen für den Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub beinhalten. Darüber hinaus ist die Seeschifffahrt in den europäischen Meeresgebieten in den europäischen CO2-Emissionshandel einzubeziehen.
  • Sicherung des Meeresschutzes durch konsequente Kontrolle zuständiger staatlicher Stellen hinsichtlich unerlaubter Einleitungen von Abwässern oder Abfällen
  • Auch wenn der Unfall des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia bereits einige Zeit her ist, so hat dieser gezeigt, dass weiterhin das Thema Schiffssicherheit eine große Herausforderung auf großen Kreuzfahrtschiffen sowie insbesondere bei Kreuzfahrten in abgelegene Gebiete darstellt. Verringerte Schiffsgröße kann eine wichtige Maßnahme sein, die Schiffssicherheit und Rettungsmöglichkeiten im Notfall zu erhöhen sowie im Fall einer Havarie Umweltschäden zu verringern.

    Dafür ist auf internationaler Ebene bei der Seeschifffahrtsorganisation IMO eine Passagierobergrenze für Kreuzfahrtschiffe von 5.000 Passagieren (500 in arktischen Gewässern und besonders sensiblen Gebieten) zur weiteren Steigerung der Sicherheit zu prüfen.

(Claudia Müller MdB – Sprecherin für maritime Wirtschaft, Markus Tressel MdB – tourismuspolitischer Sprecher, Stefan Schmidt MdB – Mitglied im Ausschuss für Tourismus; im Juli 2020)

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